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29. Juni 1953 (Montag)

In der SED-Politbüro-Sitzung dieses Tages wird für die leitenden Funktionäre des Parteiapparates und für Mitarbeiter, die für die Durchführung der Aufgaben des ZK dringend benötigt werden, bis auf weiteres eine Urlaubssperre verhängt.

Politbüro-Mitglied Heinrich Rau berichtet über Änderungen am Volkswirtschaftsplan 1953 und Umstellungen des Fünfjahrplanes. Für die Umsetzung der notwendigen umfangreichen Veränderungen des Plans wird eine Industriekommission gebildet.

Maßgeblich geht es um Fragen einer besseren Versorgung. Der Außenhandelsplan wird im Hinblick auf die Einfuhr von Nahrungsmitteln und Rohstoffen für die Konsumgüterproduktion überprüft und ein umfangreicher Warenkatalog für die Einfuhr zusammengestellt. Ab dem kommenden Monat sollen die durch die Lebensmittelkarten gegebenen Ansprüche der Bevölkerung auf Fleisch voll gedeckt werden. Die Fleischmenge soll von der für den HO-Verkauf vorgesehenen Menge abgezogen werden.

Darüber hinaus wird dem DDR-Ministerrat eine Verordnung zur Änderung der Besteuerung und zur Senkung des Einkommensteuertarifs vorgegeben. Danach werden noch nicht getilgte Strafen, die von Abgabenbehörden verhängt wurden, erlassen, wenn sich die Tat, wegen der die Bestrafung erfolgte, auf einen Zeitraum bis einschließlich 1951 bezieht.

Protokoll der SED-Politbürositzung, 29.6.1953

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Um den Gerüchten über seinen schlechten Gesundheitszustand bzw. sein Ableben entgegenzutreten, gibt Präsident Wilhelm Pieck mit einer Rundfunk-Ansprache an die Bevölkerung ein Lebenszeichen von sich. Faschistische Provokateure, so Pieck, hätten "eine unzweifelhaft vorhandene Unzufriedenheit unter den Werktätigen" mißbraucht, "die zum Teil berechtigte Forderung gegen bestehende Mißstände erhoben." Jeder Werktätige müsse jetzt "durch gute Leistungen und gewissenhafte Erfüllung seiner Aufgaben dazu beitragen, die Lebenshaltung seiner Familie zu verbessern. Jeder ehrliche Deutsche muß jetzt erkennen, daß die faschistischen Provokateure geschlagen werden müssen, damit der Weg zur gesamtdeutschen Verständigung frei wird, damit wahrhaft freie Wahlen in ganz Deutschland und ein gerechter Friedensvertrag erreicht werden können."

Text der Rundfunkansprache von Wilhelm Pieck, 29.6.1953

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Den Tagesberichten der SED-Bezirksleitungen ist zu entnehmen, dass in den Betrieben folgende Probleme unter anderem "stark diskutiert" werden: Schönfärberei und ungenügende Aktualität der Presse, die zu hohen Gehälter der Intelligenzler, Funktionäre und Volkspolizisten, die HO-Preise, das unzureichende Lohngefüge und Prämiensystem, die schlechte Materialversorgung und Zulieferung sowie die Abschaffung der Sonderversorgung. Auf dem Lande tauchen zudem Forderungen nach einer "freien Wirtschaft" auf, die das Ablieferungssystem überflüssig machen würde.

ZK-Abteilung Leitende Organe, Zusammenfassung der wichtigsten Erscheinungen aus den Bezirken vom 29.6.1953, Berlin, 30.6.1953

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Der Parteivorstand der SPD stellt in Bonn fest, dass die Bedeutung der Vorgänge in Mitteldeutschland von einem großen Teil der ausländischen Öffentlichkeit "merkwürdigerweise" besser verstanden worden sei als von dem Durchschnitt der westdeutschen Bevölkerung. Die "Herzensträgheit großer Bevölkerungsteile", das "faktische Ausbleiben von spontanen Solidaritätsaktionen der westdeutschen Arbeiterschaft" wird als ein "ernstes Symptom" empfunden.

Es müsse herausgefunden werden, "ob die Entpolitisierung der Gewerkschaftsarbeit daran schuld ist oder ob der Ungeist der ‚Normalisierung' auch die einzelnen Arbeiter erfaßt hat. Früher war es selbstverständlich, daß man auf die Straße gehen müsse, wenn anderswo auf Arbeiter geschossen wurde. Wenn man auch diese Einstellung bei der heutigen Generation nicht allgemein voraussetzen darf, so bleibt doch das Faktum übrig, daß sich die westdeutsche Arbeiterschaft dieselbe Aktionskraft in der Demokratie nicht mehr zugemutet hat, welche die mitteldeutsche Arbeiterschaft gegenüber einer Diktatur zeigte."

Die SPD müsse klarstellen, "daß die Demonstranten von dem Geiste der freien deutschen Arbeiterbewegung erfüllt waren und daß die Hauptaktionen in den alten Hochburgen der SPD stattfanden". Der SPD-Parteivorstand ist übereinstimmend der Meinung, "daß die Aktionen in Ostberlin und Mitteldeutschland den Charakter eines Wendepunktes in der deutschen und europäischen Nachkriegsentwicklung annehmen können".

SPD-Parteivorstand, Beurteilung der Ereignisse vom 16. bis 18. Juni, 29.6.1953

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In Washington beschäftigt sich die Eisenhower-Administration mit der Frage, wie die Vereinigten Staaten mit den Unruhen in den Satellitenstaaten der Sowjetunion umgehen sollen. Präsident Eisenhower und der Nationale Sicherheitsrat bestätigen Ende Juni einen Bericht des "Psychological Strategy Board" über "Interim United States Objectives and Action to Exploit the Unrest in the Satellite States". Das Planungspapier zeigt, in welchem Masse die amerikanische Regierung gedanklich bereit war, den "Widerstand gegen die kommunistische Unterdrückung" in Osteuropa zu fördern: Ermutigung von Widerstand bis an die Grenze des Massenwiderstandes, Schaffung von "Widerstandszellen", Förderung des Überlaufens von Polizei- und Militäroffizieren durch "Schwarzsender", selbst die Ausschaltung von wichtigen Persönlichkeiten in den Satellitenstaaten wurden programmatisch ins Auge gefasst. Soweit heute ersichtlich, blieb von diesen Gedankenspielen im wesentlichen die Förderung passiven Widerstandes übrig. Nach heutigem Erkenntnisstand stellte in der praktischen Politik eine Hilfsaktion mit Lebensmittelpaketen (August bis Oktober 1953) den Höhepunkt der amerikanischen psychologischen Kriegsführung gegen den Kommunismus dar.

National Security Council, Report on Interim United States Objectives and Action to Exploit the Unrest in the Satellite States, 29.6.1953

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Die Hohen Kommissare der drei Westmächte erhalten den Rang von Botschaftern in der Bundesrepublik. Im Juli 1953 werden darauf hin die Chefs der diplomatischen Missionen der Bundesrepublik in Washington, London und Paris zu Botschaftern ernannt.





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