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6. Juni 1953 (Samstag)

Das SED-Politbüro behandelt das Moskauer Maßnahmenpapier. Dem Protokoll zufolge kommt es zu einer eingehenden Diskussion, die unter anderem durch eine Mitschrift Otto Grotewohls detailliert überliefert ist:

Mitschrift Otto Grotewohls von der Politbüro-Sitzung, 6.6.1953

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Danach erklärt Walter Ulbricht: "Ich habe Verantwortung zu tragen und werde meine Arbeit ändern." Fred Oelßner greift massiv den Führungsstil des Generalsekretärs an. Der Minister für Staatssicherheit, Wilhelm Zaisser, hakt nach und kritisiert die Linie des Befehlens und Gehorchens in der Parteiführung. Der Chefredakteur des Parteiorgans "Neues Deutschland", Rudolf Herrnstadt, bemängelt die "Abgerissenheit von der Masse" und "arrogantes nacktes Administrieren". Er fordert außerdem hinsichtlich der Kollektivierung ein "freies Spiel der Kräfte", d. h. "nur wer will" soll in die LPG und diese dürften wiederum keine Bevorzugung mehr gegenüber den Einzelwirtschaften erhalten.

Die einzige Frau im Politbüro, Elli Schmidt, weist darauf hin, dass es im Politbüro zwischen den Genossen kaum Verbindung zueinander gibt. Sie erklärt: "Ich bin noch nie so einsam gewesen wie jetzt im Politbüro." Heinrich Rau wirft in die Diskussion ein, dass der Parteiapparat jede Initiative erdrückt. Der als Gast teilnehmende sowjetische Hohe Kommissar fordert noch einmal ausdrücklich eine politische und ökonomische Kehrtwendung. Am Ende seiner Ausführungen kritisiert auch Semjonow Ulbricht und empfiehlt, dass man "Frauen von verantwortlichen Genossen nicht im Apparat des Mannes beschäftigen" sollte. Er meint damit Lotte Ulbricht, die Ehefrau des SED-Chefs. Friedrich Ebert bemerkt emotional aufgewühlt in seiner langen Diskussionsrede: "Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahrzehnten meines Lebens von einer Sache so nachhaltig und so tief bewegt gewesen zu sein, wie von dem Inhalt dieses Dokuments, der sogar körperliche Schmerzen auslöste."

Protokoll der außerordentlichen Sitzung des Politbüros, 6.6.1953

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Diskussionsrede Friedrich Eberts auf der Sitzung des Politbüros, 6.6.1953

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Am Ende der Politbürositzung wird beschlossen, dass eine umfassende Selbstkritik an der Arbeit des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED ausgearbeitet werden soll. Dieses Dokument soll umgehend in Moskau vorgelegt werden. Darüber hinaus werden grundlegende Änderungen der Propaganda- und Parteiarbeit, in der Flüchtlingsfrage und in der Angelegenheit der Jungen Gemeinde festgelegt. Otto Grotewohl wird ermächtigt, umgehend mit den Kirchenführern zu verhandeln.

In den Wochenrückblicken des West-Rundfunks wird über das deutsch-amerikanische Freundschaftsabkommen berichtet. Das Abkommen wurde am 3. Juni 1953 unterzeichnet. Es setzt den Freundschafts-, Handels und Konsularvertrag vom 8. Dezember 1923 wieder in Kraft, wobei es sich hierbei um einen vorläufigen Vertrag handelt, der zu einem späteren Zeitpunkt durch einen zeitgemäßen Vertrag ersetzt werden soll. Die Bundesregierung wertet diesen Vertrag als einen großen Schritt in Richtung staatlicher Souveränität.

Bericht über das deutsch-amerikanische Freundschaftsabkommen, 6.6.1953 (RIAS Berlin)

Mp3-File O-Ton (mp3)


Pressestimmen West:

In seinem Artikel "Der Kanzler rührt sich" für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" geht Hans Baumgarten auf die bevorstehende Konferenz der drei Westmächte ein: "Will aber Frankreich sich und die Russen auf eine Europagemeinschaft festlegen? Man weiß es nicht. Darum muß der Kanzler in dieser Lage zweierlei erreichen, was sich fast auszuschließen scheint. Er muß die Bedeutung Deutschlands herauskehren. Und er muß gleichzeitig die französische Nervosität uns gegenüber beruhigen. In den letzten Tagen hebt er erfreulicherweise hervor, daß auch ihm - genau wie Churchill und den Franzosen - an einer Viererkonferenz liegt. Nunmehr muß er mit allem Ernst und ganzer Überzeugungskraft die Beweggründe dieses Wunsches und seines damit verbundenen Verhaltens einhämmern: daß Deutschland am dringendsten von allen den Frieden braucht; daß Friede nur durch ein Abkommen mit Rußland zu erreichen ist; daß dem Osten an einem befriedigenden Ausgang der Viererkonferenz nur dann etwas liegen wird, wenn er nicht mehr hoffen kann, aus Uneinigkeit des Westens und aus allgemeiner Unsicherheit für sich mehr zu gewinnen als aus einem weltweiten Friedensabschluß."

Der Berliner "Telegraf" beschäftigt sich unter dem Titel "Tschuikow" mit der Abberufung des Chefs der sowjetischen Kontrollkommission: "Sicherlich verfolgt der Kreml mit dem jetzigen Zeitpunkt der Abberufung Tschuikows auch einen politischen Zweck, zumal sie kurze Zeit nach der Umbildung der sowjetischen Kontrollkommission in ein Hochkommissariat erfolgte. Die freie Welt aber kennt die sowjetische Taktik und wird sich durch Abberufungen und Ernennungen in Karlshorst nicht täuschen lassen. Die Sowjets haben viele Möglichkeiten, ihren guten Willen gegenüber der westlichen Welt zu beweisen. Sie haben diese Möglichkeiten bisher nicht ausgenutzt, denn in der Sowjetzone ist keine der Maßnahmen, die seit 1945 bis zur Gegenwart, gestützt auf sowjetische Militärmacht und sowjetischen Befehl durchgeführt wurden, aufgehoben worden. Die Versetzung eines Armee-Generals bedeutet nichts. Die Freilassung von zehntausend Gefangenen z. B. wäre dagegen ein Zeichen des guten Willens, das von der westlichen Welt verstanden wird."

Pressestimmen Ost:

"Die große Verantwortung der Bauleute" beschäftigt das "Neue Deutschland": "Statt im Jahre 1952 einen Gewinn von 40 Millionen DM zu erzielen, arbeitete die Bauindustrie mit einem Verlust von 33 Millionen DM. Das bedeutet, daß uns am Anfang des Jahres durch die mangelhafte Arbeit unserer Bauwirtschaft eine Summe von mehr als 70 Millionen DM fehlte, die hätte vorhanden sein müssen. Das heißt, daß wichtige Produktionsstätten, Kulturbauten, Wohnbauten, Ferienheime, Krankenhäuser und andere Bauten, die der Hebung des Volkswohlstandes dienen sollten, noch nicht oder erst verspätet errichtet werden. [...] Die Gründe sind in dem mangelnden Verantwortungsbewußtsein leitender Wirtschaftsfunktionäre im Ministerium für Aufbau und bei den Planträgern - den Fachministerien -, wie auch in dem versöhnlerischen Verhalten vieler Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre gegenüber offensichtlichen Mängeln in der Bauindustrie zu finden."







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