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Tote des 17. Juni 1953
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Herbert Stauch

3.11.1917 – 18.6.1953
hingerichtet gegen 14.15 Uhr in Magdeburg auf dem Gelände der Strafvollzugsanstalt Sudenburg


Herbert Stauch wird am 3. November 1917 in Remschütz bei Saalfeld geboren und erlernt nach der Volksschule das Müllerhandwerk. 1942 heiratet er im schlesischen Ohlau die von dort stammende Else Bittner, 1943 wird der erste Sohn geboren. 1944 flieht Else Stauch vor der anrückenden Roten Armee zu den Verwandten ihres Mannes nach Rudolstadt und wird hier ausgebombt. Herbert Stauch dient in der Wehrmacht bei den Fliegern, er ist Oberfeldwebel im technischen Dienst. Nach Kriegsende schlägt er sich mit dem Fahrrad nach Rudolstadt durch und kann so der Gefangenschaft entgehen.

Die junge Familie findet in dem Dorf Heiligen Wohnung und Arbeit: Herbert Stauch, inzwischen Müllermeister, erwirbt eine Getreidemühle, die er jedoch nach einigen Jahren nicht mehr halten kann. 1952 verkauft er die Mühle und erwirbt eine kleine Teigwarenfabrik in Magdeburg. In deren Dachgeschoss baut er eine Wohnung aus; der Umzug der inzwischen um einen zweiten Sohn gewachsenen Familie vom Dorf Heiligen in die Bezirkshauptstadt ist für den späten Juni 1953 geplant. Herbert Stauchs damalige Frau Else erinnert sich: "Wir hatten am 16. Juni am Telefon noch über den Umzug gesprochen. Herbert hatte gesagt, dass er am 18. Juni kommen wollte und Erdbeeren mitbringen würde. Ich sollte einen Tortenboden backen." (1)

Am Abend des 18. Juni erfährt sie aus Bekanntmachungen, dass ein "Herbert Strauch" von einem russischen Militärtribunal wegen "der Teilnahme an banditischen Handlungen" zum Tode durch Erschießen verurteilt und das Urteil bereits vollstreckt worden sei. Zusammen mit ihren Verwandten fährt sie nach Magdeburg und erfährt im Polizeipräsidium die furchtbare Wahrheit: Die Zeitungsmeldung enthält einen Schreibfehler, der Hingerichtete ist tatsächlich ihr Mann. Auf ihr hartnäckiges Drängen hin erhält sie eine Sterbeurkunde, auf der allerdings keine Todesursache vermerkt ist. Sie muss sich und die Kinder nun allein durchbringen. Doch damit nicht genug, verfallen Herbert Stauchs Hinterbliebene der Sippenhaft: Den Jungen wird eine höhere Schulbildung verwehrt, die Mutter unterliegt fortan jenem ebenso undurchschaubaren wie flächendeckenden "Arbeitsverbot", das für die DDR typisch war. Für die private Gummifabrik ihres Schwagers kann sie immerhin in Heimarbeit Dichtungsringe entgraten.

Erst nach dem Ende der DDR erfährt sie aus den geöffneten Archiven, was Herbert Stauch am 17. Juni 1953 für "Verbrechen" begangen hat. Am Vormittag dieses Tages geht er zur Bank, um Geld für den Familienumzug abzuheben. Auf den Straßen bietet sich ihm ein überraschendes Bild. Überall formieren sich Demonstrierende mit ihrem öffentlichen Protest an den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen.

Herbert Stauch fühlt sich mit ihren Zielen verbunden. Obwohl er eigentlich etwas anderes vorhatte, ist er dabei, als sich am Vormittag vor dem Gericht und der Bezirksbehörde der Volkspolizei eine tausendköpfige Menschenmenge versammelt und lautstark die Freilassung der politischen Gefangenen fordert. Einige Demonstranten stürmen das VP-Gebäude, werfen Akten und Propagandaschriften auf die Straße. Andere versammeln sich, um eine Abordnung zu wählen, die dem VP-Bezirkschef ihre politischen Forderungen vortragen soll.

Vier Männer werden delegiert, unter ihnen Herbert Stauch, ihnen gelingt es auch, zunächst zum Chefinspektor Hübner, dann zum Bezirkschef Paulsen vorzudringen. Was der von den Demonstranten gewählte Sprecher Herbert Stauch dort vorträgt, ist nicht belegbar, denn was man darüber in den Vernehmungsprotokollen lesen kann, ist nicht authentisch. Als sicher kann aber gelten, dass er die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert hat. Paulsen habe geantwortet, dass es keine solchen gäbe und die "Wirtschaftsverbrecher" nicht auf Wunsch von ein paar Banditen frei kämen. (2)

Wenig später können Herbert Stauch und die anderen drei Männer (deren Namen nicht bekannt sind) unbehelligt das Gebäude der BDVP verlassen. Was danach geschieht, ist aus den bislang bekannten Akten nicht zu ersehen. "Höchstwahrscheinlich geht Herbert Stauch noch einmal zurück in seinen Betrieb in der Wilhelm-Külz-Straße 6. Vielleicht ist er schon dort von einem der vielen Stasi-Spitzel erkannt und als "Rädelsführer" gemeldet worden". (3)

Am Abend wird Herbert Stauch von der Volkspolizei festgenommen. Im Lastwagen, auf dem Transport ins Polizeipräsidium übergibt er einer älteren Frau einen Zettel mit der Telefonnummer seines Betriebes: sie soll die Mitarbeiter von der Verhaftung unterrichten. Doch als die Frau entlassen worden ist und anrufen will, ist Herbert Stauchs Betrieb schon versiegelt, der neunköpfigen Belegschaft das Betreten verwehrt. Am nächsten Tag wird ihm von einem sowjetischen Militärgericht ein kurzer Prozess gemacht: In vierzig Minuten sind er und die Zeugen Hübner und Paulsen angehört, wobei jede Frage und Antwort übersetzt werden muss. (Alle Ausschreitungen des Tages, auch die Tötungen von drei Polizisten werden ihm summarisch zur Last gelegt, wobei das Recht der Sowjetunion auf einen deutschen Staatsbürger zur Anwendung kommt.)

Das Urteil steht vorher fest und wird sofort verkündet. Herbert Stauchs letzte Worte vor seinen Militärrichtern werden im Protokoll so wiedergegeben: "Ich habe keinen verprügelt, ich habe nichts kaputtgeschlagen. Die Freilassung der Inhaftierten und die Ablösung der DDR-Regierung forderte ich im Auftrage der Rebellen. Ich bitte das Gericht, keine schwere Strafe anzuwenden." (4) Wenn er mit allem gerechnet hat, mit einem Todesurteil gewiss nicht. – Herbert Stauch wird von drei sowjetischen Soldaten in eine Ecke des Gefängnishofes geführt, wo er von zwei deutschen Volkspolizisten durch Genickschuss hingerichtet wird.

Mitte der 90er Jahre nimmt die Magdeburger Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Hinrichtenden auf. Einer der Exekutoren kann ausfindig gemacht werden und gibt in seiner Vernehmung zu Protokoll, dass er völlig überraschend von seinem Vorgesetzten den Befehl zur Erschießung zweier zum Tode verurteilter "Provokateure" erhalten hätte. Die Befehlshaltung des Vorgesetzten sei eindeutig gewesen, ein Widerspruch sei in ihm noch nicht mal zur gedanklichen Formulierung gekommen, da unmittelbar nach der Erläuterung der Befehlslage der erste Verurteilte von drei sowjetischen Offizieren vorgeführt worden sei. Einer der drei habe ihm und einem zweiten Volkspolizisten je eine Pistole überreicht. Kein Wort sei gefallen. Ihnen sei nur gestisch bedeutet worden, dass sie die Gefangenen ins Genick zu schießen hätten. Bei einem kleinen Schuppen, dessen Boden mit Sägespänen bedeckt war, hätten die Offiziere den ersten Verurteilten mit Blickrichtung zum Schuppen knien lassen. Dann hätten er und der andere Volkspolizist auf ein Handzeichen hin schießen müssen. Etwa fünf Minuten später sei der zweite Verurteilte hingerichtet worden. – Der gesamte Vorfall sei später nie in seiner Gegenwart dienstlich besprochen worden. "Ich kannte die Gefangenen nicht, die ich hinrichtete. Ich hatte nur den Befehl, mit dem Hintergrund eines Todesurteils des damaligen sowjetischen Militärtribunals als Henker zu wirken. (...) Ich habe nicht nachgedacht, und nur gehandelt, wie befohlen. Heute plagt mich mein Gewissen, ich werde die Bilder meines Handelns nicht mehr los und muß zu meinem Bedauern damit leben, zwei vielleicht unschuldig gewesene Menschen umgebracht zu haben. Ich bedaure die Tat sehr." (5)

Herbert Stauch ist nie bestattet worden. Einem Gerücht unter damaligen Mithäftlingen nach sollen er und Alfred Dartsch im Heizungskeller des Gefängnisses verbrannt worden sein.

1996 wird er durch die russische Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert. In der Begründung heißt es: "Aus den Unterlagen hinsichtlich dieses Falles wird deutlich, dass Stauch am 17. Juni 1953 in Magdeburg an den Massenaufständen der deutschen Bevölkerung gegen die Staatsmacht und Verwaltungsorgane der DDR mit politischen und ökonomischen Forderungen teilnahm. Vom stellvertretenden Polizeipräsidenten forderte er als vom Volk gewählter Delegierter die Freilassung der aus politischen und ökonomischen Gründen Inhaftierten, die Gewährung politischer und ökonomischer Freiheiten für das Volk sowie die Ablösung der DDR-Regierung. Beweise hinsichtlich bewaffneten Widerstandes oder andere verbrecherische Handlungen zum Schaden der UdSSR oder ihrer Bürger durch Stauch liegen nicht vor. Deshalb wurde er unbegründet aufgrund politischer Motive verurteilt, wobei das StGB und die Gerichtsverfahrensrichtlinien verletzt wurden." (6)

2003 wird auf Beschluss des Magdeburger Stadtrates ein Teil der Halleschen Straße, die dem ehemaligen BDVP-Gebäude und heutigem Innenministerium gegenüberliegt, in Herbert-Stauch-Straße umbenannt.







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1 Heinz Voigt, Ermordet in Magdeburg. Herbert Stauch, ein Opfer des 17. Juni 1953, in: Gerbergasse 18. Forum für Geschichte und Kultur, hrsg. von der Geschichtswerkstatt Jena e.V., Heft III/2003, S. 26.
2 Protokoll der Hauptverhandlung, S. 19 der Übersetzung (Privatarchiv Else Jahn).
3 Zit. nach Voigt, Ermordet in Magdeburg, S. 24.
4 Zit. nach Voigt, Ermordet in Magdeburg, S. 24.
5 Brief der Staatsanwaltschaft Magdeburg an Else Jahn, Herbert Stauchs Witwe, vom 16.2.2004 (Privatarchiv Else Jahn).
6 Rehabilitierungsschreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 14.3.1996 (Privatarchiv Else Jahn).


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