Professor Dr. G. Möbus in: Staatsbürgerliche Informationen
Folge 19 / Mai-Juni 1954


Der Volksaufstand des 17. Juni 1953 in der sowjetischen Besatzungszone und in Ostberlin

Vorwort
Seit dem Ende des Krieges war die gesamte Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone und später auch Ost-Berlins unter dem Vorwand einer fortschreitenden Demokratisierung aller Lebensbereiche immer härteren Zwangsmaßnahmen ausgesetzt. Die notwendigsten Dinge des Lebensunterhaltes und der Bekleidung wurden der Bevölkerung vorenthalten. Die Preise der Waren in den Geschäften der HO (Handelsorganisationen) standen in keinem Verhältnis zu den Löhnen und Gehältern. Die weitgehende Aufhebung des Privateigentums in Handel und Handwerk, Industrie und Landwirtschaft schuf eine zunehmende rechtliche und wirtschaftliche Unsicherheit. Die Arbeiterschaft wurde durch die Übernahme der sowjetischen Stachanow-Methode (Hennecke) immer höheren Arbeitsanforderungen (Normen) unterworfen. Zwar sicherte die Verfassung die Freiheit der Ausbildung allen Staatsbürgern zu; doch bewirkten Verordnungen der Regierung, daß bevorzugte Bevölkerungsgruppen vorwiegend den Zugang zu den höheren Schulen und Hochschulen fanden. Vor allem aber wurde die Rechtsprechung zu einem Mittel des Kampfes für den Kommunismus gemacht (Gesetz zum Schutze des Friedens). Alles das geschah unter dem Schlagwort vom "Aufbau des Sozialismus", das nur ein anderer Name für die kommunistische Diktatur ist. Hinzu kam, daß das Sowjetzonen-Regime selbst nicht als freigewählte Volksvertretung anerkannt wurde.

Schon aus diesen wenigen Hinweisen mag zu ersehen sein, daß die eigentliche Ursache der Erhebung des 17. Juni 1953 der Freiheitswille der Bevölkerung war, die in der sowjetisch besetzten Zone Jahr um Jahr gezwungen wurde, den 8. Mai - den Tag der Unterzeichnung der Kapitulation in Berlin - als den "Tag der Befreiung" zu begehen. In ihrer Anmaßung hatten die Herrschenden lange geglaubt, in der Haltung des Volkes, das mit unsagbarer Geduld diese unwürdigen Lebensverhältnisse ertrug, eine Schwäche erkennen zu dürfen. Doch seit dem Tode Stalins, im März des Jahres 1953, ging ein unterirdisches Grollen und Beben durch den gesamten Herrschaftsbereich des Bolschewismus; zunehmend wurden Meldungen über Unruhen bestätigt. Aber niemand dachte daran, daß es gerade Deutschland sein würde, wo der Funke überspringen, die seelische Erregung entzünden und zum Ausbruch bringen würde.

Die Partei befiehlt
Die sowjetamtliche "Tägliche Rundschau" veröffentlichte am 17.5.1953 einen Beschluß der 13. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei, in dem es hieß:

"Die Aufstellung von Arbeitsnormen auf falscher Grundlage wird begünstigt durch die Bestimmung des Ministeriums für Arbeit, wonach bei Einführung neuer Arbeitsnormen eine Senkung des bisherigen Verdienstes nicht zulässig ist. Diese Bestimmung hat sich als ein Fehler und als ein Hemmnis in der ganzen Entwicklung für die Ausarbeitung und Einführung technisch begründeter Arbeitsnormen erwiesen und muß korrigiert werden.

Das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands steht auf dem Standpunkt, daß die Minister, Staatssekretäre sowie die Werkleiter alle erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung des schlechten Zustandes in der Arbeitsnormung einleiten und durchführen, mit dem Ziel, die Arbeitsnormen auf ein normales Maß zu bringen und eine Erhöhung der für die Produktion entscheidenden Arbeitsnormen um durchschnittlich mindestens 10 Prozent bis zum 1. Juni 1953 sicherzustellen."

Diese Normenerhöhung bedeutete im Baugewerbe, daß die Maurer eine Lohneinbuße von 30 Prozent erlitten, Tischler und Zimmerleute sogar bis 42 Prozent. Ein Bauarbeiter, der bisher 2,40 bis 3,-- DM-Ost in der Stunde verdienen konnte, hatte jetzt höchstens 1,70 bis 1,80 DM-Ost zu erwarten.

Die Regierung gehorcht
Die sowjetzonale Regierung gab daraufhin am 2. Juni 1953 bekannt: "Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hält es für erforderlich, daß die Minister, Staatssekretäre sowie Werkleiter alle erforderlichen Maßnahmen zur Überprüfung der Arbeitsnormen durchführen. Das Ziel dieser Maßnahmen ist, die Arbeitsnormen mit den Erfordernissen der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Senkung der Selbstkosten in Übereinstimmung zu bringen und zunächst eine Erhöhung der für die Produktion entscheidenden Arbeitsnormen im Durchschnitt um mindestens 10 Prozent bis zum 30. Juni 1953 sicherzustellen."

Diese Bekanntmachung der sowjetzonalen Regierung enthält zugleich die Mitteilung, daß die Bestimmung aufgehoben ist, die es für unzulässig erklärt, durch die Einführung neuer Arbeitsnormen eine Senkung der Löhne hervorzurufen.

Der FDGB treibt an
Dem FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) fällt es nicht ein, sich zur SED und der Regierung in Widerspruch zu setzen; im Gegenteil: er übernimmt es, die neue Normenerhöhung zu rechtfertigen und durchzusetzen, vor allem ihre Nachteile für die Arbeiterschaft wegzudiskutieren. So schreibt sein Organ, die "Tribüne" am 16. Juni 1953:

"Die Arbeitsnormen werden nicht erhöht um die Löhne zu senken, sondern um durch wirtschaftlichere Arbeit in jeder Hinsicht mit dem gleichen Arbeitsaufwand wie bisher mehr, besser und billiger zu produzieren. Die feindliche ‚Theorie' von der Lohnsenkung muß zerschlagen werden."

Wie wenig es sich bei der Lohnsenkung, die mit der neuen Normenerhöhung der Arbeiterschaft drohte, nur um eine "feindliche Theorie" handelte, das beweisen die folgenden Sätze aus demselben Artikel der "Tribüne":

"Es kann sein, daß trotz aller technisch-organisatorischen Vorbereitungen einzelne Arbeiter oder Arbeitsgruppen in der nächsten oder übernächsten Dekade ihren alten Lohn noch nicht in voller Höhe erreichen können, aber dann schon bei der dritten oder vierten Lohnzahlung bei höheren Arbeitsergebnissen durch höhere Normen bei Schaffung technisch-organisatorischer Voraussetzungen ihren alten Lohn erreichen werden."

Der Arbeiter antwortet
Die Normenerhöhung stieß von Anfang an auf erbitterten Widerstand. Die Arbeiter protestierten gegen diese ausbeuterische Handhabung des Normensystems und forderten, daß die Beschlüsse über diese Erhöhung rückgängig gemacht würden.

So berichtet selbst das "Neue Deutschland", das Zentralorgan der SED, schon am 2. Juni 1953:

"Harte Auseinandersetzungen finden statt, um alle Arbeiter zum Kampf um höhere, technisch begründete Arbeitsnormen zu gewinnen." Da ist zum Beispiel der Schlosser Adolf Schermer, ein alter, erfahrener Facharbeiter, dem in seiner Arbeit niemand so leicht etwas vormachen kann. Vor einigen Tagen erklärte er seinen Rücktritt aus der Betriebsgewerkschaftsleitung. Grund: er könne die Normenerhöhungen nicht mehr mitmachen. "Die sollen erst einmal die Preise senken, dann erhöhen wir unsere Normen. Und selbst wenn ich meine Norm erhöhe? Davon kostet das Paar Schuhe auch noch nicht 15 Mark. Mit unseren ausgeleierten Maschinen können wir sowieso keine höhere Norm schaffen; wir brauchen erst einmal neue Maschinen." Präziser konnte der propagandistische Trick des kommunistischen FDGB nicht charakterisiert werden als das, was er tatsächlich war, nämlich der Versuch eines totalitären Regimes, der Arbeiterschaft unter unzulänglichen Arbeitsbedingungen für weniger Lohn eine größere Arbeitsleistung aufzubürden.

Nun greift die Propaganda in der SED-Presse zu dem alten Mittel, in Berichten bekannt zu geben, es hätten sich Betriebe und Gruppen in Betrieben gefunden, die sich sofort freiwillig mit der neuen Normenerhöhung einverstanden erklärten.

Wie die "Freiwilligkeit" aussah, das zeigt ein Vorfall in Ost-Berlin, den das "Neue Deutschland" am 14.6.1953 berichtet:

"Anfang Mai begann die Mauerbrigade Rocke auf der Großbaustelle Ostseestraße des VEB Wohnungsbau (Volkseigener Betrieb) zu arbeiten. ‚Ich war kaum zwanzig Minuten hier', erzählte uns Brigadier Rocke‚ um für die neue Baustelle alles vorzubereiten, als drei Leute aus der Zentrale ankamen und mit mir über die Normenerhöhung diskutierten wollten. Unter ihnen befand sich auch der Normenbearbeiter Lembeck. Ich sagte ihnen, sie sollen doch warten, bis die ganze Brigade zusammen ist, denn die Hälfte meiner Kollegen arbeitete damals noch auf einem Bau in der Mühlenstraße. Meine Kollegen in der Mühlenstraße hätten einer Normenerhöhung bereits zugestimmt, wurde mir daraufhin gesagt; der Bauleiter in der Mühlenstraße hätte die Unterschriften meiner Kollegen schon in der Tasche. Ich habe geantwortet, das ist eine Lüge, und ich hatte recht. Als dieses Manöver bei mir nicht zündete, erklärte mir Lembeck, daß ich mir darüber klar sein soll, daß sie auf den Großbaustellen nur Brigaden arbeiten lassen, die ihre Norm erhöht haben. Daraufhin haben wir unsere Norm um durchschnittlich 6,5 Prozent erhöht. Aber in meinen Augen war das eine regelrechte Erpressung."

Doch die "Tribüne" schreibt am 16. Juni 1953: "Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Kommuniqués des Politbüros und des Ministerrates vom 9. bzw. 11. Juni 1953 wird in einigen Fällen die Frage gestellt, inwieweit die Beschlüsse über die Erhöhung der Arbeitsnormen noch richtig sind und aufrechterhalten bleiben. Die Beschlüsse über die Erhöhung der Normen sind in vollem Umfang richtig."

Die Nachricht verbreitete sich, daß bereits bei der Lohnzahlung für die erste Dekade der entsprechend verkürzte Lohn gezahlt werden solle.

Nieder mit der Regierung!
Als am 16. Juni der Artikel in der "Tribüne" auf den Baustellen der Stalinallee bekannt wurde, entschlossen sich die Arbeiter zu einer Protestaktion gegen die Erhöhung der Normen. Sie traten in den Streik. Als der Zug der Streikenden die Stalinallee verließ, war ihre Zahl bereits auf 2 000 angewachsen. Ungehindert gelangten sie zum Sitz der Führung des FDGB in der Wallstraße. Doch das Haus war verschlossen und niemand wurde eingelassen. Daraufhin zogen die Demonstranten weiter zum Regierungsviertel und erreichten gegen 13 Uhr das "Haus der Ministerien" in der Wilhelmstraße. Der Platz vor dem Regierungsgebäude füllte sich mit Menschen und Sprechchöre gaben die Forderungen der Demonstranten bekannt. Es wurde nach Ulbricht und Grotewohl gerufen. Nun wäre für die Regierung Gelegenheit gewesen, sich des Vertrauens würdig zu erweisen, dessen sie sich immer wieder gerühmt hatte; jetzt war auch Gelegenheit, sich zur Diskussion zu stellen, die immer wieder als Mittel bezeichnet worden war, durch das die "Werktätigen" sich überzeugen lassen sollten.

Aber weder Ulbricht noch Grotewohl zeigten sich. An ihrer Stelle erschien schließlich Minister Selbmann. Er versuchte sich anzubiedern, redete die Demonstrierenden als Kollegen an und bezeichnete sich selbst als Arbeiter. Das trägt ihm ein Gelächter ein, in dem seine Rede untergeht. Als er noch einmal versucht, sich Gehör zu verschaffen, schallt es ihm entgegen: "Wir sind nicht nur von der Stalinallee, wir sind aus ganz Berlin." "Wir sind gegen die Normen in ganz Berlin und in ganz Deutschland." Wir wollen frei sein! Wir fordern freie, geheime Wahlen!"

Der 17. Juni
Der Gang der Ereignisse war nicht mehr aufzuhalten. Am 17. Juni erhob sich die Bevölkerung Ost-Berlins und der sowjetisch besetzten Zone gegen das kommunistische Regime. In strömendem Regen setzte sich in Berlin, am Straussberger Platz, der erste Zug von Demonstranten in Bewegung. Wieder ist das Ziel das Regierungsgebäude in der Wilhelmstraße. Als der erste Demonstrationszug gegen 8.30 Uhr eintrifft, findet er das Regierungsgebäude durch ein starkes Aufgebot von Volkspolizei abgeriegelt. Es kommt zum ersten Zusammenstoß mit der Volkspolizei, über die ein Hagel von Steinen niedergeht. Es gelingt aber nicht, den Zugang zum Regierungsgebäude zu erzwingen. Die Erregung der Menge wirkt sich in der Erbitterung aus, mit der sie in den benachbarten Straßen und am Potsdamer Platz Transparente, Fahnen und Bilder zerstört, die Sinnbilder der Unfreiheit sind. Es kommt an mehreren Stellen zu Zusammenstößen mit der Volkspolizei. Im Stadtinnern treffen immer neue Züge von Demonstranten ein; in strömendem Regen sind seit Stunden in zwei Kolonnen von mehr als zehntausend Menschen die Belegschaften des Stahlwerkes und der Bau-Union Hennigsdorf unterwegs. An der Spitze des Zuges wird eine Tafel getragen, deren Inschrift das Ziel der Erhebung ausspricht:

"Weg mit den Normen. Wir wollen gesamtdeutsche Wahlen und die Einheit!"

Die Verkehrsmittel Ost-Berlins stellen schließlich gegen Mittag den Betrieb vollständig ein. Die Gruppen und Züge der Demonstranten beherrschen die Straßen. Die Menschenmenge im Lustgarten - jetzt Marx-Engels-Platz - ist auf 50 000 angewachsen. Der Wille, der die Zehntausende beseelt, ist der Ruf nach der Freiheit und Einheit Deutschlands. Das bringen die Solidaritätserklärungen der streikenden Baustellen zum Ausdruck. Dieser Wille findet seinen Ausdruck in einer symbolischen Handlung.

Die rote Fahne auf dem Brandenburger Tor wird heruntergeholt und an ihrer Stelle eine schwarz-rot-goldene Fahne gehißt.

Dann fallen gegen 12 Uhr aus dem Regierungsgebäude die ersten Schüsse und sowjetische Panzer, Panzerspähwagen und Mannschaftswagen mit Infanterie erscheinen. Die Panzer fahren in die Menschenmenge hinein, die zurückweicht und mit Steinwürfen antwortet. Es gelingt weder der Roten Armee noch der Volkspolizei, Herr der Lage zu werden und die Demonstranten von den Straßen und Plätzen zu verdrängen.

Da verhängt der Militärkommandant des sowjetischen Sektors über Ost-Berlin den Ausnahmezustand. Trotzdem bleibt die Lage bedrohlich. Noch einmal versuchen die Demonstranten, vom Potsdamer Platz aus ins Regierungsviertel vorzudringen. Die Volkspartei eröffnet aus nächster Nähe das Feuer. Auch an anderen Stellen der Stadt fallen Schüsse. Tote und Verwundete werden geborgen.

Bald wird erkannt: mit Berlin hat sich die Zone erhoben. Nachrichten kommen aus Dresden, Leipzig, Halle, Magdeburg, Merseburg, Bitterfeld, Jena, Gerade, Erfurt und anderen mehr.

Hier ein Bericht aus Leipzig:

"Mehr als 30 000 Menschen sammelten sich in Leipzig, stürmten das Gebäude des Rundfunks und die Kreisleitung der FDJ; der Pavillon für deutsch-sowjetische Freundschaft ging in Flammen auf. Beim Durchmarsch durch die Ritterstraße erschienen drei Kübelwagen mit Volkspolizei, zwei wurden umgekippt, die Vopo entwaffnet und entkleidet und die Waffen am Rinnstein zerschlagen. Am Reichsgericht stand die Polizei schußbereit hinter Scherengittern. Ein Tor in dem Innenhof wurde eingedrückt, die erste Schüsse fielen.

Gegen 19 Uhr abends wurde der Ausnahmezustand verhängt. Die Straßenbahn war mit Kreide beschriftet: ‚Die Vopo schießt auf deutsche Arbeiter, nieder mit der Regierung!' Eine Blutlache auf der Straße war mit Blumen umkränzt."

Wie ein Lauffeuer hat die Erhebung von Berlin aus tatsächlich die ganze Zone ergriffen. Überall aber geht es längst nicht mehr um die Normen; sondern die Forderung heißt: Freie Wahlen! Ein einheitliches Deutschland!

Das jahrelange Mißtrauen von Mensch zu Mensch fällt ab von der Bevölkerung der Zone; allein aus innerem Antrieb, ohne Führung von außen finden sich die Menschen auf den Straßen und Plätzen zusammen: wieder ein Volk, vereint durch den Willen zur Freiheit.

Auch die Erhebung in der Zone wird nur durch Waffengewalt und das Standrecht niedergezwungen. Die Zahl der Toten und Verwundeten wird erhöht durch die Verhaftungen und Verschleppungen, in den nächsten Tagen und Wochen.

In ihrer Sitzung vom 25. Juni 1953 gab die sowjetzonale Regierung selbst bekannt, daß 19 Demonstranten getötet und 126 verletzt worden seien.

In der Trauerfeier am 23. Juni 1953 in Berlin führte der damalige Regierende Bürgermeister, Ernst Reuter, aus:

"Dieser elementare, wuchtige Aufstand unseres Volkes, dieser Marsch der deutschen Arbeiter, dieses revolutionierende, entflammende Wirken der deutschen Jugend unter einem totalitären System, sie haben die Welt aufgerüttelt und die Basis freigemacht für eine bessere Zukunft. Keine Macht der Welt, niemand wird auf die Dauer uns Deutsche voneinander trennen können. Die Fahne der Knechtschaft auf dem Brandenburger Tor, sie ist von unserer Jugend heruntergezogen worden, und die Jugend wird eines Tages die Fahne der Freiheit auf dem Brandenburger Tor aufziehen."

Und der Bundeskanzler, Dr. Adenauer, erklärte auf dieser Trauerfeier:

"Wie ein Orkan brach die aufgestaute Verzweiflung und Not los gegen Sklaverei und Unterdrückung, nicht achtend Tod und Gefahr. Wie ungeheuer der Druck ist, der nun seit Jahr und Tag auf diesem Teil Deutschlands lastet, das zeigt das Aufbäumen der Millionen gegen ihre kommunistischen und russischen Machthaber. Nicht russische Panzer und Maschinengewehre, nicht Maschinenpistolen der Kommunisten konnten sie schrecken, konnten sie davon abhalten, ihr Leben zu wagen und zu opfern ..."

"Wir werden nicht ruhen und wir werden nicht rasten - diesen Schwur lege ich ab für das gesamte deutsche Volk - bis auch die achtzehn Millionen in der Sowjetzone wieder ihre Freiheit haben, bis ganz Deutschland wieder vereint ist in Frieden und Freiheit."








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Für die Hand des Lehrers

Vorwort
Am 7. November 1947 waren dreißig Jahre seit der Machtergreifung der Bolschewisten in Rußland vergangen, und der Außenminister der Sowjetunion, Molotow, erklärte in der Festrede, die er aus diesem Anlaß hielt: "Wir leben in einem Zeitalter, wo alle Wege zum Kommunismus führen."

Und im Geschichtsbuch, das in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands von Staats wegen im Gebrauch ist, heißt es:

"Die Große Sozialistische Oktoberrevolution eröffnete als neue Epoche in der Geschichte der Menschheit, die Epoche, in der die Menschen frei von jeder Ausbeutung leben und arbeiten können. Zum ersten Male in der Geschichte befreien sich Menschen von ihren Ausbeutern, ohne daß neue Ausbeuter an ihre Stelle traten. Die Befreiungsbewegung der Sklaven hatte zwar die Fesseln der Sklaverei gesprengt, doch die Gesellschaftsordnung des Feudalismus, die auf die Sklaverei folgte, brachte die Ausbeutung der Leibeigenen durch die adligen Grundherren mit sich. Auch die bürgerlichen Revolutionen, die den Feudalismus beseitigten, befreiten die Menschen nicht von der Ausbeutung. An die Stelle der Leibeigenen traten die Lohnarbeiter, die zwar persönlich frei waren, aber ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten verkaufen mußten und von ihnen ausgebeutet wurden. Die Große Sozialistische Oktoberrevolution, die auf einem Sechstel der Erde den Kapitalismus beseitigte und den Weg zum Sozialismus frei machte, übergab zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit die Produktionsmittel den Werktätigen und machte damit jede Ausbeutung unmöglich."

In dieser Darstellung erscheint die gesamte Geschichte Europas als Schauplatz der Ausbeutung, auf dem eine Generation der Ausbeuter die andere ablöst, bis endlich Lenin und Stalin die Befreiung der Menschheit bringen. Ist das wahr? Hat der Kommunismus in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands wirklich die Befreiung der dort lebenden Menschen gebracht?

Der Volksaufstand des 17. Juni 1953 in Ost-Berlin und in der gesamten sowjetischen Besatzungszone gibt auf diese Frage eine eindeutige und nicht mißzuverstehende Antwort.

Der Beginn der Volkserhebung in Berlin
Seit dem Ende des Krieges war die gesamte Bevölkerung der sowjetischen Besatzungszone und später auch Ost-Berlins unter dem Vorwand einer fortschreitenden Demokratisierung aller Lebensbereiche immer härteren Zwangsmaßnahmen ausgesetzt. Die notwendigsten Dinge des Lebensunterhaltes und der Bekleidung wurden der Bevölkerung vorenthalten. Die Preise der Waren in den Geschäften der HO (Handelsorganisationen) standen in keinem Verhältnis zu den Löhnen und Gehältern. Die weitgehende Aufhebung des Privateigentums in Handel und Handwerk, Industrie und Landwirtschaft schuf eine zunehmende rechtliche und wirtschaftliche Unsicherheit. Die Arbeiterschaft wurde durch die Übernahme der sowjetischen Stachanow-Methode (Hennecke) immer höheren Arbeitsanforderungen (Normen) unterworfen. Zwar sicherte die Verfassung die Freiheit der Ausbildung allen Staatsbürgern zu; doch bewirkten Verordnungen der Regierung, daß bevorzugte Bevölkerungsgruppen vorwiegend den Zugang zu den höheren Schulen und Hochschulen fanden. Vor allem aber wurde die Rechtsprechung zu einem Mittel des Kampfes für den Kommunismus gemacht (Gesetz zum Schutze des Friedens). Alles das geschah unter dem Schlagwort vom "Aufbau des Sozialismus", das nur ein anderer Name für die kommunistische Diktatur ist. Hinzu kam, daß das Sowjetzonen-Regime selbst nicht als freigewählte Volksvertretung anerkannt wurde.

Schon aus diesen wenigen Hinweisen mag zu ersehen sein, daß die eigentliche Ursache der Erhebung des 17. Juni 1953 der Freiheitswille der Bevölkerung war, die in der sowjetisch besetzten Zone Jahr um Jahr gezwungen wurde, den 8.Mai - den Tag der Unterzeichnung der Kapitulation - als den "Tag der Befreiung" zu begehen. In ihrer Anmaßung hatten die Herrschenden lange geglaubt, in der Haltung des Volkes, das mit unsagbarer Geduld diese unwürdigen Lebensverhältnisse ertrug, eine Schwäche erkennen zu dürfen. Doch seit dem Tode Stalins im März des Jahres 1953 ging ein unterirdisches Grollen und Beben durch den gesamten Herrschaftsbereich des Bolschewismus; zunehmend wurden Meldungen über Unruhen bestätigt. Aber niemand dachte daran, daß es gerade Deutschland sein würde, wo der Funke überspringen, die seelische Erregung entzünden und zum Ausbruch bringen würde.

Als sei die Geschichte selbst, auf die sich der Bolschewismus in einem fort beruft, dieses Mißbrauchs endlich müde und überdrüssig, wählte sie einen Anlaß für die Erhebung in Deutschland, der dem Anspruch der Bolschewisten, Befreier der Menschheit von der Ausbeutung und den Ausbeutern zu sein, geradezu ins Gesicht schlägt; denn am Morgen des 16. Juni 1953 beschlossen die Arbeiter des Volkseigenen Betriebes der Bau-Union an den Baustellen der Stalinallee in Ostberlin, in den Streik zu treten. Die Stalinallee, die ehemalige Frankfurter Allee, war von der kommunistischen Propaganda zur ersten sozialistischen Straße Deutschland erklärt und zum Symbol der Bolschewisierung der sowjetisch besetzten Zone erhoben worden.

Anlaß des Streiks war ein Artikel in der kommunistischen Gewerkschaftszeitung "Tribüne" zur Frage der Normenerhöhung. Diese war am 28. Mai 1953 durch den Ministerrat der Sowjetzonen-Regierung um durchschnittlich zehn Prozent bis zum 30. Juni verordnet worden. Diese Normenerhöhung bedeutete im Baugewerbe, daß die Maurer eine Lohneinbuße von 30 % erlitten, Tischler und Zimmerleute sogar 42 %. Ein Bauarbeiter, der bisher 2,40 bis 3,-- DM-Ost in der Stunde verdienen konnte, hatte jetzt höchstens 1,70 bis 1,80 DM-Ost zu erwarten.

Die Normenerhöhung stieß von Anfang an auf erbitterten Widerstand. Die Arbeiter protestierten gegen diese ausbeuterische Handhabung des Normensystems und forderte, daß die Beschlüsse über diese Erhöhung rückgängig gemacht würden. In dem angeführten Artikel der "Tribüne" wurde nun zum Ausdruck gebracht, daß die Erhöhung der Arbeitsnormen aufrecht erhalten werde. Die Nachricht verbreitete sich, daß bei der Lohnzahlung für die erste Dekade der entsprechend verkürzte Lohn gezahlt werden solle.

Daraufhin traten die Arbeiter der Bau-Union in Streik und begannen ihren Marsch. Als sie die Stalinallee verließen, war ihre Zahl auf an die 2 000 Mann angewachsen. Ungehindert gelangte der Zug zum Sitz der Führung des kommunistischen FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) in der Wallstraße. Das Haus war verschlossen, und niemand wurde eingelassen. Die Demonstranten zogen daraufhin weiter in Richtung des Regierungsviertels und erreichten gegen 13 Uhr das Haus der Ministerien in der Wilhelmstraße.

Der Platz ist schnell von Menschen überflutet, und Sprechchöre geben die Forderungen der Demonstranten bekannt. Ulbricht und Grotewohl sollen erscheinen. An ihrer Stelle zeigt sich schließlich der Minister Selbmann; er versucht zu sprechen, kann sich aber nicht durchsetzen. Noch einmal versucht er, zu Worte zu kommen und von den Arbeitsnormen zu sprechen; doch da tönt es ihm entgegen: "Wir sind nicht nur von der Stalinallee, wir sind aus ganz Berlin. Wir sind gegen die Normen in ganz Berlin und in ganz Deutschland!" "Wir wollen frei sein! Wir fordern freie, geheime Wahlen!"

Als sich weder Ulbricht noch Grotewohl zeigen, fällt zum erstenmal das Wort: Generalstreik. Die Demonstranten ziehen zur Stalinallee zurück; ihr Aufruf zum Streik wird von Baustelle zu Baustelle und über die Stadtgrenzen hinaus weitergegeben.

Die Rundfunkstationen West-Berlins bringen Nachrichten über die Vorgänge im Ost-Sektor; Extrablätter der Zeitungen zeigen den Einwohnern des freien Berlins an, daß Ereignisse vor sich gegangen sind und noch bevorstehen, die auch für sie schicksalsvolle Bedeutung haben.

Und die kommunistische Regierung? Was tut sie, die angebliche Vertretung der "werktätigen Arbeiter und Bauern"? Grotewohl, der sich den Arbeitern nicht gestellt hat, hält am Abend des 16. Juni im Friedrichstadt-Palast eine Rede vor Funktionären der SED. Nach der Zurücknahme der Normenerhöhung versucht er durch ein allgemeines Schuldbekenntnis der Situation ihre Schärfe zu nehmen:

"Wir nehmen keine Zuflucht zur Demagogie, zu Beschönigungs- oder zu Ablenkungsmanövern. Unsere Fehler, die wir offen bekennen, sind auch keineswegs der Ausdruck von Verständnislosigkeit oder von Volkfeindschaft. Das Zentral-Komitee der Partei wird eine völlige und umfassende Darstellung aller Fehler und notwendigen Maßnahmen zu ihrer Beseitigung erhalten. Das Politbüro wird sich dem Zentral-Komitee der Partei zur vollen Verantwortung stellen. Es wird kein Fehler und kein Mangel in Partei und in Verwaltung unausgesprochen oder im Dunkel bleiben.

Die Vorhut der deutschen Arbeiterklasse hat sich von den Massen gelöst. Sie müssen sich wieder miteinander vereinigen und unsere Aufgabe ist es, diese Vereinigung herbeizuführen. Es gibt aus allen diesen Gründen keinen anderen Weg für uns. Man muß eine Wendung vollziehen."

Es ist ein alter Kunstgriff der Kommunisten, in schwierigen Situationen von ihren Fehlern zu sprechen; spricht freilich vorher jemand von diesen Fehlern, dann ist er ihr Feind und verliert die Freiheit. Das Geständnis Grotewohls erhält sein volles Gewicht, wenn wir es an den folgenden Worten Stalins messen (Geschichte der KPdSU (B), S. 450):

"Man kann es als Regel betrachten, daß die Bolschewiki unbesiegbar bleiben, solange sie die Verbindung mit den breiten Massen des Volkes bewahren. Und umgekehrt, die Bolschewiki brauchen sich nur von den Massen loszulösen, die Verbindung mit ihnen zu verlieren, sich mit bürokratischem Rost zu bedecken, um jegliche Kraft einzubüßen und sich in ein Nichts zu verwandeln."

Wir sehen: Grotewohl erklärte den Bankrott des kommunistischen Regimes, das sich bis dahin von einer Rede zur anderen bis zur Unerträglichkeit seiner Verdienste gerühmt hatte. Mehr noch: Grotewohl gibt zu, daß seine Regierung und seine Partei das Volk gegen sich haben; d.h. schon dieser Tag beweist es - genau im Sinne der Sätze Stalins -, daß die Grundlage, auf der die Herrschaft seiner Regierung und seiner Partei steht, in Wahrheit "ein Nichts" ist.

Der 17.Juni: Das Volk steht auf!
Grau und regnerisch ist der Morgen des 17. Juni. Unter strömendem Regen setzt sich in Berlin am Straussberger Platz der erste Zug von Demonstranten in Bewegung. Sein Ziel ist das Regierungsgebäude in der Wilhelmstraße. Als der erste Demonstrationszug gegen 8.30 Uhr dort eintrifft, findet er das Regierungsgebäude durch verstärkte Absperrketten der Volkspolizei gesichert. Es kommt zum ersten Zusammenstoß mit der Polizei, über die ein Hagel von Steinen niedergeht. Es gelingt aber nicht, den Zugang zum Regierungsgebäude zu erzwingen. Die Erregung der Menge wirkt sich in der Erbitterung aus, mit der sie in den benachbarten Straßen und am Potsdamer Platz Transparente, Fahnen und Bilder zerstört, die Ausdruck der verhaßten Gewaltherrschaft sind. Es kommt aber an mehreren Stellen zu Zusammenstößen mit der Volkspolizei. Im Stadtinnern treffen immer neue Demonstrationszüge ein: Aus Oberschöneweide sind es die Arbeiter der Kabelwerke Oberspree, des Transformatorenwerkes und der Fabrik für Fernmeldewesen. Im strömenden Regen sind seit Stunden in zwei Kolonnen von mehr als 10 000 Menschen die Belegschaften des Stahlwerkes und der Bau-Union Hennigsdorf unterwegs. An der Spitze des Zuges wird eine Tafel getragen mit der Aufschrift: "Weg mit den Normen! Wir wollen gesamtdeutsche Wahlen und die Einheit!" Die Verkehrsmittel Ost-Berlins haben den Betrieb eingestellt; die Gruppen und Züge der Demonstranten beherrschen die Straßen. Die Menschenmenge im Lustgarten - jetzt Marx-Engels-Platz - ist auf 50 000 angewachsen.

Der Wille, der die Zehntausende beseelt, ist der Ruf nach der Freiheit und Einheit Deutschlands. Er findet Ausdruck in einer symbolhaften Handlung: Die rote Fahne auf dem Brandenburger Tor wird heruntergeholt und an ihrer Stelle eine schwarz-rot-goldene Fahne gehißt!

Da fallen gegen 12 Uhr aus dem Regierungsgebäude in der Leipziger Straße die ersten Schüsse gegen die Demonstranten, und sowjetische Panzer, Panzerspähwagen und Mannschaftswagen mit Infanterie erscheinen. Die Panzer fahren in die Menschenmenge hinein, die zurückweicht und mit Steinwürfen antwortet. Es gelingt weder der Roten Armee noch der Volkspolizei, der Lage Herr zu werden und die Demonstranten von den Straßen und Plätzen zu verdrängen.

Daraufhin verhängt der Militärkommandant des sowjetischen Sektors um 13.30 Uhr über Ost-Berlin den Ausnahmezustand. Trotzdem bleibt die Lage bedrohlich. Noch einmal versuchen die Demonstranten vom Potsdamer Platz aus ins Regierungsviertel vorzudringen; kasernierte Volkspolizei eröffnet aus kürzester Entfernung das Feuer. Immer wieder fallen auch an anderen Stellen der Stadt Schüsse. Tote und Verwundete werden geborgen. Bald wird bekannt:

Mit Berlin hat sich die Zone selbst erhoben.

Nachrichten kommen aus Dresden, Leipzig, Halle, Magdeburg, Merseburg, Bitterfeld, Jena, Gera, Erfurt u.a.m. Hier ein Bericht aus Leipzig:

"Mehr als 30 000 Menschen sammelten sich in Leipzig, stürmten das Gebäude des Rundfunks und die Kreisleitung der FDJ; der Pavillon für deutsch-sowjetische Freundschaft ging in Flammen auf. Beim Durchmarsch durch die Ritterstraße erschienen drei Kübelwagen mit Volkspolizei, zwei wurden umgekippt, die Vopo entwaffnet und entkleidet und die Waffen im Rinnstein zerschlagen. Am Reichsgericht stand die Polizei schußbereit hinter Scherengittern. Ein Tor in den Innenhof wurde eingedrückt, die ersten Schüsse fielen.

Gegen 19 Uhr wurde der Ausnahmezustand verhängt. Die Straßenbahn war mit Kreide beschriftet: ‚Die Vopo schießt auf deutsche Arbeiter, nieder mit der Regierung!' Eine Blutlache auf der Straße war mit Blumen umkränzt."

Wie ein Lauffeuer hat die Erhebung von Berlin aus tatsächlich die ganze Zone ergriffen. Überall aber geht es längst nicht mehr um die Normen; sondern die Forderung heißt: Freie Wahlen! Ein einheitliches Deutschland!

Das jahrelange Mißtrauen von Mensch zu Mensch fällt ab von der Bevölkerung der Zone; allein aus innerem Antrieb, ohne Führung von außen, finden sich die Menschen auf den Straßen und Plätzen zusammen: Wieder ein Volk, vereint durch den Willen zur Freiheit.

Das ist die Sprache der Tatsachen, in der der 17. Juni des Jahres 1953 zu uns spricht. Der Widerstand gilt einer Gewaltherrschaft die Deutschland teilt und Deutsche zu Feinden macht. Das Ziel des Aufstandes ist nichts anderes als die Freiheit selbst: Die Befreiung von einer Gewaltherrschaft, die sich auf die Geschichte beruft und den Menschen im Namen der Freiheit der schlimmsten Unfreiheit unterwirft.

Die Menschen in der sowjetisch besetzten Zone wußten, was sie taten, als sie am 17. Juni 1953 auf die Straßen und Plätze ihrer Städte hinausgingen; sie gingen dem Tod entgegen. Der jahrelange innere Widerstand gegen die Unfreiheit brach sich Bahn, und die Zehntausende erhoben sich wie ein Mann.

Auch die Erhebung in der Zone wird nur durch Waffengewalt und das Standrecht niedergezwungen. Die Zahl der Toten und Verwundeten wird erhöht durch die Verhaftungen und Verschleppungen in den nächsten Tagen und Wochen. In ihrer Sitzung vom 25. Juni 1953 gab die sowjetzonale Regierung selbst bekannt, daß 19 Demonstranten getötet und 126 verletzt worden seien.

Dieses Geständnis genügt, um den Anspruch dieser Regierung und des Bolschewismus, in dessen Auftrag sie sich zu stehen rühmt, in seiner ganzen Fragwürdigkeit sichtbar zu machen; denn nicht eine neue Epoche in der Geschichte der Menschheit ist mit ihr heraufgekommen, sondern eine Epoche der Unfreiheit ohnegleichen. Doch das deutsche Volk selbst hat ihr in der Erhebung des 17. Juni ein Halt entgegengerufen, das in der Weltgeschichte widerhallt.

In der Trauerfeier am 23. Juni 1953 in Berlin sagte der damalige Regierende Bürgermeister Ernst Reuter:

"Dieser elementare, wuchtige Aufstand unseres Volkes, dieser Marsch der deutschen Arbeiter, dieses revolutionierende, entflammende Wirken der deutschen Jugend unter einem totalitären System, sie haben die Welt aufgerüttelt und die Basis freigemacht für eine bessere Zukunft. Keine Macht der Welt, niemand wird auf die Dauer uns Deutsche voneinander trennen könnten. Die Fahne der Knechtschaft auf dem Brandenburger Tor, sie ist von unserer Jugend heruntergezogen, und die Jugend wird eines Tages die Fahne der Freiheit auf dem Brandenburger Tor aufziehen."

Und der Bundeskanzler Dr. Adenauer erklärte auf dieser Trauerfeier:

"Wie ein Orkan brach die aufgestaute Verzweiflung und Not los gegen Sklaverei und Unterdrückung, nicht achtend Tod und Gefahr. Wie ungeheuer der Druck ist, der nun seit Jahr und Tag auf diesem Teil Deutschlands lastet, das zeigt das Aufbäumen der Millionen gegen ihre kommunistischen und russischen Machthaber. Nicht russische Panzer und Maschinengewehre, nicht Maschinenpistolen der Kommunisten konnten sie schrecken, konnten sie davon abhalten, ihr Leben zu wagen und zu opfern ..."

"Wir werden nicht ruhen und wir werden nicht rasten - diesen Schwur lege ich ab für das gesamte deutsche Volk -, bis auch die achtzehn Millionen in der Sowjetzone wieder ihre Freiheit haben, bis ganz Deutschland wieder vereint ist in Frieden und Freiheit."