[SPD-PV Ostbüro] [ohne Datum] EB 47.132

Betrifft: B r a n d e n b u r g/Bez. Potsdam, Hennigsdorf Einfluß der Oberschlesier im VEB Stahl- und Walzwerk und VEB Lokomotiv-Elektro-Werke siehe EB 47 121

Verwendung: Unbeschränkt

In Hennigsdorf liegt die Lage auch heute noch so, daß dort bestimmend für das einwandfreie Funktionieren der LEW und des Stahl- und Walzwerkes die dort schon jahrelang ansässigen Oberschlesier sind. Die oberschlesische Kolonie mit Familienangehörigen ist für Hennigsdorf mit rund 6.500 Personen zu beziffern. Viele der Oberschlesier in der Nachbarschaft von Hennigsdorf bis ins Leegebruch hinein, wie in Hennigsdorf selbst, verfügen über eigenen Haus- und Grundbesitz. Die Oberschlesier sind ausgesprochene Fachspezialisten und hervorragende Arbeiter. Schon während der Hitlerzeit waren sie nur Facharbeiter und keine Nationalsozialisten und dies hat sich auch nicht geändert, als das kommunistische Regime kam.

Viele leitende Beamte und Angestellte der LEW und des SW sind Oberschlesier; sie vor allem waren es, die den schnellen Wiederaufbau von Hennigsdorf nach 1945 ermöglichten. In der oberschlesischen Kolonie gärt es schon seit 1948. Ihr Prinzip ist: gute Arbeit ohne Politik mit einem ausreichenden Lebensstandard. Da dies von den sojwetzonalen Machthabern nicht bewerkstelligt werden konnte, ergaben sich die Folgen; Unzufriedenheit und kein Vertrauen zu den sowjetzonalen Regierungsstellen und deren Versprechungen. Die Folge wiederum hiervon: Beginn von Sabotage und nicht befriedigende Leistungen bei den Reparationslieferungen. Maßregelungen der sogenannten Schuldigen erbrachten schwere Mißhandlungen der dafür verantwortlichen politischen Funktionäre außerhalb des Werksbereiches. Dieser Zustand bestand schon seit 1948 und verschärfte sich - vor allem in den LEW - zusehends. Das Stahl- und Walzwerk, wo die allgemeinen Verhältnisse in bezug auf Produktion und Wiederaufbau anders lagen, vertrat die gleichen Ansichten mit seiner oberschlesischen Teilbelegschaft wie die ihrer Landsleute in den LEW.

Unterstützt wurden die Oberschlesier durch die Belegschaft der „Alten Tegeler", die ehemalige Firmenbezeichnung für die jetzigen Borsigwerke in Berlin-Tegel, die z.T. mit laufenden Wiederaufbauarbeiten und Neumontage auf dem Werkgelände der LEW und des SW beschäftigt waren. Mit 1950 hörte der direkte Einfluß der „Alten Tegeler" auf Hennigsdorf auf, da diese als Westfirma ihre Arbeiten dort einstellen mußte und außerdem die Borsigwerke offiziell ihre Tätigkeit wieder aufnahmen. Die enge Verbindung zwischen Tegel und Hennigsdorf blieb aber bestehen, wodurch sich der Widerstandswille gegen das sowjetzonale Regime dort immer mehr versteifte.

Da sich in Hennigsdorf die Lebensmittelversorgung katastrophal verschlechterte, die geforderten Arbeitsleistungen aber maßlos übersteigert wurden (dies geschah, weil Hennigsdorf mit seinen LEW und SW für sowjetzonale Begriffe unter den schwierigsten Produktionsverhältnissen immer noch Qualitätserzeugnisse lieferten), steigerte sich die Unzufriedenheit unter der Belegschaft auf das Äußerste und fand endlich ihren Niederschlag in der Demonstration am 17. Juni. Der Werkschutz der LEW und des SW harmonierte zum größten Teil mit den Werksbelegschaften und war mit 48 Mann in Zivil an dem Demonstrationszug nach Ostberlin beteiligt. Am 18.6. lag die Situation in Hennigsdorf etwa so, daß von den ca. 15.000 Belegschaftsmitgliedern nur ca. 80 % an ihren Arbeitsplätzen erschienen - hier handelt es sich um beide Werke - und von den 4.000 Arbeitern der auf den Werkgeländen bauenden Firmen fast keine. Die zur Arbeit erschienenen Werktätigen beschäftigten sich hauptsächlich mit der Instandhaltung jener Werkeinrichtungen, die zur Wiederaufnahme eines geregelten Betriebes unbedingt erforderlich sind. Zum Teil liegt die Lage auch heute noch so, da den Versprechungen der sowjetzonalen Regierungsstellen nicht geglaubt wird und die Belegschaften erst abwarten, ob die versprochenen ausreichenden Lebensmittel auch eintreffen und ausgegeben werden. Von den Belegschaften wurde ausdrücklich gefordert, daß die leitenden Angestellten auf keinen Fall mehr das Schwerstarbeiteressen in den Werkkantinen erhalten, das aus täglich Fleisch und 1/4 l Milch besteht. Außerdem wurde die völlige Umbesetzung der Betriebsgewerkschaftsleitung gefordert. Auch die Werkleitungen müssen zum Teil umbesetzt werden, und zwar nicht mit geschulten SEDisten, sondern mit Fachleuten. Ferner wurde verlangt, daß der Arbeitsschutz - vor allem im SW - endlich ausreichend ausgebaut wird, was bis jetzt trotz Einsatz eines Arbeitsschutz-Ingenieurs nicht geschehen ist. Die betriebseigene Tankstelle des SW und der LEW wurde dadurch unbrauchbar gemacht, daß Wasser in die Betriebsstofftanks gebracht wurde. Vor allem wurden dadurch die Omnibusse betroffen, die den Werkverkehr bis nach Falkensee-Staaken und dem Leegebruch durchführen. Von der Betriebsgewerkschaftsleitung des SW wurden fünf Mann so schwer mißhandelt, daß sie ins Veltener Krankenhaus gebracht werden mußten, wo sich z. Zt. noch zwei Mann befinden, während die anderen drei in ärztliche Behandlung entlassen worden sind. Nach dem 17. Juni wurden in den LEW und dem SW ganz offen westliche Zeitungen gelesen.

Der SSD suchte nach dem 17. Juni beide Werke an mehreren Tagen auf. Er gab sich aber nicht als solcher zu erkennen, sondern war als Mitglied von Untersuchungskommissionen getarnt, die angeblich die Auswirkungen der Demonstrationen feststellen und für die Beseitigung von Schäden und Mißständen sorgen sollten. Zwei Treibstoffkessel-Lastkraftwagen mit Anhängern, die aus dem Hydrierwerk Rodleben und dem Mineralölwerk Lützkendorf nach Hennigsdorf unterwegs waren, gerieten in den Waldungen westlich Spandau-Falkensee in Brand und wurden vernichtet. Offiziell ist in den beiden Hennigsdorfer Großbetrieben die Arbeit wieder aufgenommen worden. Bis zum regelmäßigen Ablauf derselben werden aber immerhin noch sieben Tage gebraucht.

[Quelle: AdSD, SPD-PV Ostbüro, 0434b, 17.6.1953, Nr. 1679.]