Gabriele Schnell
Der 17. Juni 1953 in Strausberg und Fürstenwalde

Um 8.00 Uhr bestellt der 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Strausberg mehrere Funktionäre ein. Er gibt bekannt, "dass am 16.6.53 in Berlin Demonstrationen von Bauarbeitern der Stalinallee durchgeführt wurden und dass es gilt, in unserem Kreisgebiet Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen zu verhindern". Die Alarmstufe III wird ausgerufen.

Die Streikbewegung in Strausberg geht am 17. Juni um 7.00 Uhr von den Bauarbeitern der Bau-Union Spree aus. Auf ihrer Baustelle in der Nähe des S-Bahnhofes Strausberg, wo sie Bauten für das MfS errichten, stellen sie 14 Forderungen auf. Dazu zählen:

- Solidaritätsstreik mit den Kollegen von der Stalinallee,
- Freie Wahlen,
- Weg mit der Kasernierten Volkspolizei,
- Freilassung sämtlicher Kriegsgefangenen und politischen Häftlinge.

Sie organisieren Lastkraftwagen und PKW und fordern die Belegschaften weiterer Betriebe auf, sich dem Streik anzuschließen. Dann fährt die Fahrzeugkolonne in Richtung Berlin. Die Streikenden wollen sich mit den Ostberliner Arbeitern solidarisieren. Am Grenzkontrollpunkt Dahlwitz-Hoppegarten, wo eine große Menschenmenge mit dem gleichen Ziel versammelt ist, verhindern Kasernierte Volkspolizei und sowjetisches Militär mit Schüssen die Weiterfahrt. Zu diesem Zeitpunkt ist über Berlin bereits der Ausnahmezustand verhängt.

Die Streikenden fahren daraufhin nach Fürstenwalde. Dort marschieren Bauarbeiter der Bau-Union und Teile der Bevölkerung durch die Stadt zum Reifenwerk. Ein großer Teil der Reifenwerker und die Belegschaften von Gussstahl, Gaselan, der Zement-Phosphatwerke, des VEB Textil, der Marienhütte und des Kreisbaubetriebes schließen sich an. Am Nachmittag marschieren mehr als 5.000 Menschen zum Stadtzentrum von Fürstenwalde. Sie versammeln sich vor dem Gebäude des Rates des Kreises.

Im Volkspolizei-Bericht heißt es:
"Dort selbst sprachen einige Rädelsführer, und der Rat des Kreises (Vorsitzende) wurde aufgefordert, zu der Bevölkerung zu sprechen und die gestellten Forderungen anzuerkennen. Der Gen. Pfeiffer kam dieser Aufforderung nach, jedoch kam er nicht zum Sprechen, da er von Provokateuren durch Zwischenrufe daran gehindert wurde und vom Stuhl gerissen wurde. Weitere Ausschreitungen wurden durch das Erscheinen unserer Freunde [gemeint sind sowjetische Soldaten, d. Vf.] unterbunden."

Um 20.00 Uhr wird in Fürstenwalde der Ausnahmezustand verhängt. Noch in der Nacht verhaftet die Staatssicherheit sechs "Haupträdelsführer".

In Strausberg verhaftet die Staatssicherheit am 18. Juni den Brigadier Heinz Grünhagen. Der 20-jährige gehört der Streikleitung der Bau-Union Spree an. Im Staatssicherheitsgefängnis in Frankfurt/Oder soll er unterschreiben, dass er auf westliche Anweisung gehandelt hat. Weil er das verweigert, wird er tage- und nächtelang verhört und misshandelt.

Am 26. Juni verurteilt ihn das Bezirksgericht Frankfurt/Oder zusammen mit fünf seiner Kollegen in einem Schauprozess. Für Heinz Grünhagen lautet das Urteil: fünf Jahre Zuchthaus. Das Urteil wird nach dem Ende der DDR aufgehoben und Heinz Grünhagen 1991 rehabilitiert.

Interview mit Heinz Grünhagen, 31. Mai 2003

Mp3-File O-Ton (mp3)

[Quellen: BA, Do 1/11.0/305; BStU, MfS SdM, Nr. 249, Bl. 16-33; Elena Demke/Christoph Hamann/Falco Werkentin, Der 17. Juni 1953, Berlin 2003.]