Erich Selbmann
Taten zum Wohle des Volkes
[DDR-Rundfunk, 23.6.1953]


Nicht nur - weil es unser Beruf als Journalist erfordert, sondern weil es mir und den meisten meiner Kollegen staatsbürgerliche Pflicht und persönliches Bedürfnis ist - darum haben wir uns in den zurückliegenden fünf, sechs Tagen mit sehr vielen Menschen sehr eingehend und sehr offen unterhalten. Wir diskutierten mit Bekannten und Unbekannten, mit Berlinern und Einwohnern anderer Städte und Dörfer der Republik, mit Arbeitern, Bauern und Geschäftsleuten - mit den Menschen, zu denen wir Tag für Tag über die Wellen des demokratischen Rundfunks sprechen, die uns Vertrauen entgegenbrachten und entgegenbringen und die, mehr denn je zuvor, von uns größere Klarheit, Einfachheit, Offenheit, größere Einsicht und auch eine größere "Weite des Herzens" verlangen. Eine größere "Weite des Herzens", die unter Beweis gestellt werden muß durch die noch leidenschaftlichere Beschäftigung mit den wirklichen Sorgen, den Gedanken, Wünschen, Hoffnungen, Forderungen, aber auch mit den Zweifeln, den berechtigten Einsprüchen und den etwaigen Irrtümern unserer werktätigen Menschen.

Aus unseren Gesprächen mit unseren Hörern wissen wir, daß die Erklärung des Zentralkomitees über die Lage in der Deutschen Demokratischen Republik und über die unmittelbaren Aufgaben der Partei in allen Teilen der Republik und in allen Kreisen der Bevölkerung einen lebhaften Widerhall gefunden hat. Dieser Widerhall ist - so will mir scheinen - nicht allein damit zu erklären, daß in diesem Dokument eine zweite, sehr umfangreiche Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenshaltung der Bevölkerung beschlossen wurde; auch nicht allein damit, daß in einer sehr ernsten und gründlichen Analyse alle Ursachen, alle Hintergründe, alle Zusammenhänge der Ereignisse in Berlin und der Deutschen Demokratischen Republik aufgezeigt werden, so daß mancher jetzt erst recht erkennen und verstehen kann, zu welch schmutzigem Spiel er von faschistischen Abenteurern mißbraucht werden sollte und zum Teil mißbraucht worden ist. Ich glaube, nicht allein das erklärt den lebhaften Widerhall, den die Erklärung des ZK an allen Orten gefunden hat. Es ist vielmehr die Tatsache, daß in dieser Erklärung ganz eindeutig, völlig offenherzig, die Führung der Partei Sinn und Inhalt des ganzen neuen Kurses dargestellt hat, den Partei und Regierung bereits steuern. Die Erklärung für das Echo und die breite Zustimmung zu diesem Dokument liegt darin daß in ihm klar ausgesprochen wird: Nun kommt es darauf an, Taten zu vollbringen, mit aller Entschlossenheit, mit größerer Einsicht, mit höherem Bewußtsein und mit einer größeren - so heißt es wörtlich - Weite des Herzens: Taten zum Wohle des Volkes.

Aus unseren Gesprächen, die wir in den letzten Tagen führten, weiß ich - und auch die Erklärung der Partei macht kein Hehl daraus -, daß viele Menschen bei uns noch verbittert sind, daß viele noch zweifeln oder zumindest noch unbeantwortete Fragen haben. An sie, die ehrlichen Arbeiter, die noch unrichtige Auffassungen hegen, wende ich mich besonders. Und ich möchte ihnen meine Gedanken zu der einen Frage sagen, die auch sie alle sicherlich gestern und heute beschäftigt hat. Warum ist es so ungeheuer notwendig, durch gute und gewissenhafte Arbeit den neuen Kurs unserer Regierung zu unterstützen?

Es ist notwendig, damit es niemals wieder eine Wiederholung des faschistischen Abenteuers vom 17. Juni geben kann! Und das heißt nichts anderes, als: Es darf niemals wieder ein solch verbrecherischer Anschlag auf das Wohlergehen unserer Menschen möglich sein. Der neue Kurs - er begann ja nicht erst nach dem 17. Juni - im Gegenteil, die Provokationen des 17. Juni wurden inszeniert, weil dieser neue Kurs bei uns bereits eingeschlagen worden war. Er begann mit dem Kommuniqué des Politbüros am 9. Juni, er begann mit den Maßnahmen der Regierung zur entschiedenen Verbesserung der Lebenslage der Werktätigen.

Die zweite Reihe der Maßnahmen, die in der jüngsten Erklärung des Zentralkomitees veröffentlicht ist, ist nichts anderes, als die planmäßige Fortsetzung des am 9. Juni begonnenen Weges. Diese zweiten Maßnahmen - die Erhöhung der Renten und Fürsorgesätze, die wesentliche Erweiterung der Etatmittel für den Wohnungsbau, für hygienische und sanitäre Einrichtungen, für die bessere Versorgung der Werktätigen mit Arbeitskleidung usw., usw. - diese zweiten Maßnahmen, sie wären sowieso gekommen, vielleicht nur schneller. Und gerade das fürchteten die Initiatoren der Unruhen des 17. Juni, gerade das befürchteten die Adenauer, Kaiser, Reuter, Schwennicke und Konsorten. Sie sind, durch ihre Verstrickung mit den räuberischen imperialistischen Kräften, durch den Generalvertrag und die Remilitarisierung, nie und nimmer in der Lage, auch nur die kleinste Maßnahme zur Hebung des Wohlstandes in Westdeutschland oder Westberlin zu beschließen. Sie fürchteten das Beispiel der neuen und richtigen Maßnahmen unserer Regierung, sie fürchteten, daß binnen kurzer Zeit alle Menschen der Deutschen Demokratischen Republik durch diese neuen Maßnahmen in ihrer Lebenshaltung so gebessert worden wären, daß aber auch niemand mehr auf ihre Hetztiraden hereingefallen wäre - sie fürchteten, daß die neuen Maßnahmen unserer Regierung die friedliche Einigung Deutschlands erleichtert und für jeden als möglich bewiesen hätten und darum inszenierten sie ihren "Tag X". Kein Leipziger Arbeiter - und ich kenne die Arbeiter in Leipzig - kein Leipziger Arbeiter kann ernsthaft glauben, daß der wegen zahlloser Einbruchsdiebstähle zu insgesamt zehn Jahren Gefängnis verurteilte Otto Schleier, der einer der übelsten Rädelsführer und Radaubrüder am 17. Juni gewesen ist, wirklich - etwa für die Erhöhung von Renten randalierte, brandschatzte und raubte. Und kein Deutscher kann, wenn er ernsthaft überlegt, auch nur für einen Augenblick annehmen, daß Adenauer, der schon tausend Arbeiterdemonstrationen zusammenschießen ließ, wirklich Arbeiterinteressen im Auge hatte, als er seine "Garde", Tangojünglinge, CIC-Agenten und ähnliches Gelichter, in hellen Scharen in den Demokratischen Sektor von Berlin marschieren ließ. Durch das rechtzeitige Eingreifen breiter Teile der Bevölkerung, die durch unsere Volkspolizei vorbildlich unterstützt wurden, sowie durch das Eingreifen der sowjetischen Besatzungsmacht - die die wahren Ziele der Ausschreitungen rechtzeitig und frühzeitig - früher als wir - erkannt hat - wurde ein Anschlag vereitelt, der gegen die ureigensten Interessen der Arbeiter selbst gerichtet war. Am 17. Juni war der Weltfrieden in Gefahr - in einer Situation allgemeiner Entspannung sollte eine Brandfackel einen Weltbrand entfachen. Diese Erkenntnis greift immer mehr um sich, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern der Welt. Der bekannte englische Unterhausabgeordnete Richard Crossman schrieb vorgestern in der weitverbreiteten Sonntagszeitung "Sunday Picturial": "In Westdeutschland müssen wir diejenigen Deutschen zurückhalten, die versuchen, in der Ostzone einen Aufstand zu provozieren." Und er sagt weiter: "Wir" - er meint die Engländer - "wollen nicht zulassen, daß Adenauer zu einer noch schrecklicheren Figur wird als Li Syng Man." Diese Erkenntnis, daß Adenauer am 17. Juni seine Schwärme ausschickte, um aus Deutschland ein zweites Korea zu machen, greift also auch in anderen Ländern um sich - die Verantwortung, die wir Deutschen tragen, ist noch größer geworden. Auf der Tagung des Weltfriedensrates in Budapest haben die Vertreter aus allen Ländern der Welt besonders über die deutsche Frage diskutiert. Wir haben, wie unsere Delegierten berichteten, neue Freunde gewonnen. Die Völker erwarten von uns, daß wir die Weltkampagne der Verständigung und der friedlichen Verhandlung fördern und keine Störung und kein Komplott mehr zulassen.

Und darum ist es notwendig, dem neuen Kurs unserer Republik alle Kräfte zu widmen. Er, und nur er allein ist der Kurs, der in Deutschland zu einer friedlichen Lösung führt. Er bedarf - wie unter uns im Kleinen, so auch im Großen in der internationalen Politik - der Offenheit, Klarheit und einer Weite des Herzens. Ihm stehen lediglich Provokateure und bezahlte Gauner entgegen.

Räumen wir sie beiseite!

[Quelle: Unser Rundfunk Nr. 28/53, 2. Juliheft, 5.7.-11.7.1953, S. 2, in: Deutsches Rundfunkarchiv.]