CHRISTLICH-DEMOKRATISCHE UNION DEUTSCHLANDS

GENERALSEKRETÄR
BERLIN W 8
JÄGERSTRASSE 59-60

An den
Ministerpräsidenten der Regierung der
Deutschen Demokratischen Republik
Herrn Otto Grotewohl


B e r l i n W 1
Leipziger Str. 5 - 7
18. Juni 1953


Sehr geehrter Herr M i n i s t e r p r ä s i d e n t !

Beiliegend überreichen wir Ihnen die Berichte über die Verschleppung des Stellvertreters des Ministerpräsidenten, Otto N u s c h k e , in den amerikanischen Sektor von Berlin. Herr Nuschke, der am 17. Juni 1953, gegen 14 Uhr, telefonisch zu einer 15 Uhr stattfindenden Sitzung nach Niederschöneweide gebeten worden war, fuhr mit dem Personenkraftwagen der Parteileitung der Christlich-Demokratischen Union, IFA F 9, GB 013 417.

Mit vorzüglicher Hochachtung! Götting

Anlagen:

  1. Bericht der beiden Begleiter Heinz F. und Walter M.,
  2. Augenzeugenbericht von Heinz F.,
  3. ermerk des Staatssekretärs Dr. Heinrich Toeplitz,
  4. Aktenvermerk über eine Besprechung des Mitarbeiters der Parteileitung, Walter Bredendiek, mit Vertretern der Leitg. d. Ev. Kirche,
  5. Meldungen über die Verschleppung Otto Nuschkes.
  6. Aufruf des politischen Ausschusses der CDU.
Anlage 1

Bericht über die Verschleppung des Stellvertreters des Ministerpräsidenten, Otto Nuschke

Nach den Berichten der bei dem Vorfall Beteiligten, des bei der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik angestellten Kraftfahrers, Heinz F., und des bei der Parteileitung der Christlich-Demokratischen Union beschäftigten Kraftfahrers, Walter M., hat sich die Verschleppung Otto Nuschkes in den amerikanischen Sektor von Groß-Berlin folgendermaßen zugetragen:

Otto Nuschke befand sich in Begleitung der beiden Fahrer in einem Wagen der Parteileitung der Christlich-Demokratischen Union, IFA F 9, mit dem Kennzeichen GB 013 417, auf einer Fahrt durch den demokratischen Sektor. Auf dieser Fahrt kam er durch die Mühlenstraße in Richtung Treptow. In der Gegend der Oberbaumbrücke, etwa 100 m vor der Kreuzung Warschauer Straße, wurde der Wagen durch eine randalierende Menschenmenge zum Halten gebracht. Der Fahrer M., der am Steuer saß, wurde sofort aus dem Wagen gezerrt und die Personalausweise der Insassen verlangt. Zur gleichen Zeit hat offenbar einer der Provokateure Otto Nuschke erkannt, der vorn neben dem Fahrer saß, da sein Name laut gerufen wurde. Die Menge stürzte sich auf den Wagen und zwang den Fahrer M., sich wieder ans Steuer zu setzen. Von der den Wagen begleitenden Menge wurde er gezwungen, weiter zu fahren. Die Sicht wurde ihm von den auf der Motorhaube Sitzenden genommen. Obwohl einzelne besonnene Menschen verschiedentlich versuchten, den Wagen zu befreien, konnten sie nicht verhindern, daß dieser von einem neben dem Wagen Laufenden gelenkt und über die Oberbaumbrücke nach dem amerikanischen Sektor gezogen wurde. Nachdem die Sektorengrenze überschritten war, griff die Stummpolizei ein. Die Menge wurde vom Wagen abgedrängt. Trotzdem gelang es einigen, durch die Polizeikette hindurch ins Fenster zu schlagen. Kurz vor dem Polizeirevier 109 gelang es noch einem aus der Menge, den Zündschlüssel durch das Fenster abzuziehen. Die Kette der Stummpolizei wurde durchbrochen, Otto Nuschke und die beiden Fahrer aus dem Wagen gezogen. Der Wagen wurde weitgehend beschädigt. Die Stummpolizei ergriff Otto Nuschke und den Fahrer Walter M. und brachte sie unter dem Johlen der Menge in das Polizeirevier. Trotz der Polizeibegleitung wurden er und der Fahrer von Schlägen getroffen. Da sich die Menge auf Otto Nuschke und den Fahrer M. konzentrierte, gelang es dem zweiten Fahrer, der hinten im Wagen saß (Heinz F.), zu entkommen. Er informierte vom demokratischen Sektor aus telefonisch den Generalsekretär Götting und gab dann den Vorfall auf der nächsten Polizeiwache des demokratischen Sektors zu Protokoll.

Im Polizeirevier wurden Otto Nuschke und M. sofort getrennt und in verschiedene Zimmer gebracht. Vor dem Polizeirevier versammelte sich eine randalierende Menschenmenge, die Anstalten machte, das Polizeirevier zu stürmen. Daraufhin forderte die Stumm-Polizei Verstärkung an. Nach deren Eintreffen wurde Otto Nuschke unter dem Schutz der Stumm-Polizei, die die Menschenmenge abdrängte, in einem PKW an einen nicht bekannten Ort abgefahren. Der Fahrer M. wurde in den Abendstunden von der Stumm-Polizei entlassen, der beschädigte Wagen der Parteileitung nach der Friesenstraße abgeschleppt.

Berlin, den 18. Juni 1953
[unterschrieben von:] Walter M.
Heinz F.


Anlage 2

Christlich-Demokratische Union Deutschlands Pressestelle
Berlin, den 18. Juni 1953

Augenzeugenbericht

Von einem Augenzeugen, Heinz F., der sich mit im Wagen Otto Nuschkes befand, wird uns folgendes berichtet:

"Nachdem Otto Nuschke sich bereits auf einer Fahrt durch verschiedene Teile des demokratischen Sektors von dem Ablauf der Demonstrationen überzeugt hatte und nirgends belästigt worden war, fuhren wir durch die Mühlenstraße in Richtung Treptow. Etwa 100 m vor der Kreuzung Warschauer Straße wurden wir von einer nach Hunderten zählenden Menschenmenge angehalten. Es waren offensichtlich Westberliner Jugendliche. Der Fahrer wurde von der den Wagen begleitenden Menge gezwungen, weiterzufahren. Die Sicht wurde ihm von den auf der Motorhaube Sitzenden genommen. Obwohl besonnene Menschen verschiedentlich versuchten, den Wagen zu befreien, konnten sie nicht verhindern, daß dieser von einem der neben dem Wagen Laufenden gelenkt und von der Menge über die Oberbaumbrücke in den amerikanischen Sektor geschoben wurde. Nachdem die Sektorengrenze passiert war, wurde die Menge durch die Stumm-Polizei vom Wagen abgedrängt. Trotzdem gelang es einigen, durch die Polizeikette hindurch ins Fenster zu schlagen. Kurz vor dem Polizeirevier 109 in der Schlesischen Straße gelang es noch einem aus der Menge, den Zündschlüssel durch das Fenster abzuziehen. Das war der Augenblick, in dem sich die Menge der Person Otto Nuschkes bemächtigen wollte. Otto Nuschke wurde aber festgenommen und auf das Polizeirevier gebracht. Trotz der Polizeibegleitung wurden er und der Fahrer von einigen Schlägen getroffen.

Da sich die Menge auf Otto Nuschke und den Fahrer M. konzentrierte, gelang es mir, der ich hinten im Wagen war, unbehelligt zum demokratischen Sektor zurückzukehren und von der ersten Telefonzelle die Parteileitung zu verständigen."

Die Angaben des Augenzeugen, daß besonnene Menschen versuchten, den Wagen Otto Nuschkes zu befreien, wird auch dadurch erhärtet, daß bereits kurze Zeit nach der Verschleppung Nuschkes die Geschäftsstelle der Parteileitung von verschiedenen anderen Augenzeugen angerufen und über die Vorfälle unterrichtet wurde, wobei diese ihrem Abscheu Ausdruck gaben und bestätigten, daß es sich auch in diesem Falle um die verbrecherische Tat Westberliner Provokateure handelt.

Pressestelle
[Unterschrift]
(Höhn)


Anlage 3

Vermerk

Die Verschleppung des Stellvertreters des Ministerpräsidenten Otto Nuschke ist nach der Aussage der beiden Fahrer F. und M. in folgender Weise vor sich gegangen:

Otto Nuschke befand sich in Begleitung der beiden Fahrer in einem F 9 PKW der Parteileitung der CDU auf dem Wege nach Treptow. In der Mühlenstraße, in der Gegend der Oberbaumbrücke, wurde der Wagen durch eine randalierende Menschenmenge zum Halten gebracht. Der Fahrer M. wurde sofort aus dem Wagen gezerrt und die Personalausweise der Insassen verlangt. Zur gleichen Zeit hat offenbar einer der Provokateure Otto Nuschke erkannt, da sein Name laut gerufen wurde. Die Menge stürzte sich auf den Wagen, zwang den Fahrer M., sich wieder ans Steuer zu setzen und lenkte den Wagen über die Oberbaumbrücke nach dem amerikanischen Sektor. Jenseits der Sektorengrenze griff die Stummpolizei ein. Es gelang ihr, vorübergehend die Menge von dem Wagen zu trennen. Der Wagen wurde dann, von der Stummpolizei umgeben, zu dem Polizeirevier 109 in der Köpenicker Straße gebracht. Kurz vor dem Polizeirevier durchbrach die Menge die Kette der Stummpolizei und zerrte Otto Nuschke und die beiden Fahrer aus dem Wagen. Der Wagen wurde weitgehend beschädigt. Die Stummpolizei ergriff Otto Nuschke und den Fahrer Walter M. und brachte sie unter dem Johlen der Menge in das Polizeirevier. Dem zweiten Fahrer, F., gelang es zu entkommen. Er informierte sofort telefonisch den Generalsekretär Götting und gab dann den Vorfall auf der nächsten Polizeiwache des demokratischen Sektors zu Protokoll.

Aus den Aussagen des Fahrers M. ergibt sich weiter, daß in dem Polizeirevier Otto Nuschke und M. sofort in verschiedene Zimmer gebracht wurden. Vor dem Polizeirevier versammelte sich eine randalierende Menschenmenge, die Anstalten machte, das Polizeirevier zu stürmen. Daraufhin forderte die Stumm-Polizei Verstärkung an. Nach deren Eintreffen wurde Otto Nuschke unter dem Schutz der Stummpolizei, die die Menschenmenge abdrängte, in einem PKW an einen nicht bekannten Ort abgefahren. Der Fahrer M. wurde in den Abendstunden von der Stumm-Polizei entlassen, der beschädigte Wagen der Parteileitung nach der Friesenstraße abgeschleppt.

Berlin W 8, den 18. Juni 1953 gez. Dr. Toeplitz


Anlagen 4-6

[...]

[Quelle: SAPMO-BArch, NY 4062/95, Bl. 18-22.]