Ministerrat beschließt Neuen Kurs
ND, 11. Juni 1953


Der Ministerrat hat in seiner Sitzung vom 11. Juni 1953 eine Anzahl von Maßnahmen beschlossen, durch welche die auf den verschiedensten Gebieten begangenen Fehler der Regierung und der staatlichen Verwaltungsorgane korrigiert werden. Durch die jetzt vom Ministerrat beschlossenen Maßnahmen wird die Verbesserung der Lebenshaltung der Arbeiter und der Intelligenz, der Bauern und Handwerker und der übrigen Schichten des Mittelstandes eingeleitet. Bei der Begründung der entsprechenden Verordnungen und Beschlüsse ging der Ministerpräsident von den verschiedenen Maßnahmen in der Vergangenheit aus, die sich als fehlerhaft erwiesen haben. Der Ministerpräsident führte diese Fehler, wie sie zum Beispiel bei der Lebensmittel-kartenversorgung, bei Erfassungsmaßnahmen, bei der Steuererhebung und bei anderen Maßnahmen begangen wurden, darauf zurück, daß erhebliche Mittel im Staatshaushalt für Aufwendungen in Betracht gezogen wurden, die nicht im Fünfjahrplan vorgesehen waren. Außerdem wurden für das nächste Planjahr vorgesehene Aufgaben zum Teil in das Planjahr 1953 einbezogen und bestimmte Teile des Fünfjahrplans wurden zugunsten der Entwicklung der Schwerindustrie zu früh von 1955 auf 1952 und 1953 verlagert.

Die dadurch entstandene und durch Rückstände in der vorjährigen Ernte sowie durch Ablieferungsrückstände verschärfte Lage versuchte die Regierung in der zurückliegenden Zeit durch eine Anzahl von Maßnahmen zu meistern, die sich in ihrer Wirkung als falsch erwiesen haben. "Die unverzügliche Korrektur der entsprechenden Verordnungen", erklärte der Ministerpräsident, wird zur Verbesserung der Lebenshaltung unserer Bevölkerung führen und die Verbundenheit der Bevölkerung mit der Regierung stärken und festigen. Eine solche Politik unserer Regierung entspricht zugleich dem Grundinteresse der Annäherung und Verständigung aller deutschen Patrioten im Kampfe für die Einheit Deutschlands und den Frieden.«

In einer gründlichen Aussprache, an der sich der Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Walter Ulbricht, der Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Nuschke, der Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Scholz, der Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Loch, der Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Rau, die Minister Steidle, Feldmann, die Vorsitzende der Staatlichen Kommission für Handel und Versorgung, Elli Schmidt, und Staatssekretär Hafrang beteiligten, wurde die durch den Ministerpräsidenten erfolgte Klarstellung der begangenen Fehler anerkannt und die von ihm begründeten neuen Beschlüsse allseitig unterstützt. Der Ministerrat erteilte diesen Beschlüssen seine Zustimmung. Durch diese Beschlüsse wird ein aus den gegenwärtigen Engpässen herausführender Entwicklungsprozeß eingeleitet. In der nächsten Zeit werden Veränderungen des Fünfjahrplans durchgeführt werden, welche die weitere Verbesserung der Lebenslage ermöglichen.

Der Ministerrat faßte folgende Beschlüsse:

Die Beschränkungen für die Ausgabe von Lebensmittelkarten werden aufgehoben. Ab 1. Juli 1953 werden an alle Bürger der Deutschen Demokratischen Republik und des demokratischen Sektors von Groß-Berlin wieder Lebensmittelkarten wie früher ausgegeben. Bei der Handelsorganisation (HO) werden die Preise für zuckerhaltige Erzeugnisse, wie Süßwaren, Dauerbackwaren, Feinbackwaren [...] auf den Stand zurückgeführt, der für diese Preise am 19. April 1953 gegeben war. Das gleiche gilt für den Preis für Marmelade aller Art, Kunsthonig und Fruchtsirup. Die Preisherabsetzung tritt mit dem 15. Juni 1953 in Kraft. In der gesamten Wirtschaft, bei Klein-, Mittel- und Großbauern, Handwerkern, Einzel- und Großhändlern, privaten Industrie-, Bau- und Verkehrsbetrieben, sind Zwangsmaßnahmen zur Beitreibung von Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit in der Zeit bis zum Ende des Jahres 1950 entstanden sind, auszusetzen. Handwerker, Einzel- und Großhändler, private Industrie-, Bau- und Verkehrsbetriebe erhalten auf Antrag ihre Betriebe zurück. Kurzfristige Kredite sind zu gewähren. Ab 1. Juli 1953 ist die Fahrpreisermäßigung in Höhe von 50 Prozent bei Arbeiterrückfahrkarten auf alle berechtigten Personen ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens auszudehnen. Darüber hinaus ist die bis zum 1. April 1953 gewährte Fahrpreisermäßigung für Schwerbeschädigte, Schüler, Studenten, Lehrlinge und Kleingärtner wieder einzuführen. Ebenso ist die bis zum 1. April 1953 gewährte Fahrpreisermäßigung für Sonntagsrückfahrkarten, Schichtarbeiter-Rückfahrkarten und Gesellschaftsfahrten ab 1. Juli 1953 wieder einzuführen.

Härten bei der Sozialversicherung und der Sozialfürsorge werden beseitigt und die Leistungen werden auf den ursprünglichen Stand gebracht. Landwirtschaftliche Betriebe, deren Eigentümern auf Grund einer Verordnung vom 19. Februar 1953 die weitere Bewirtschaftung untersagt wurde, werden zurückgegeben.

Republikflüchtige Personen, die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Berlin zurückkehren, erhalten ihr Eigentum zurück. Die Rückkehrer sind in ihre vollen Bürgerrechte einzusetzen und entsprechend ihrer Qualifikation in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben einzugliedern.

Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und republikflüchtig geworden sind, können auf ihre Höfe zurückkehren. Wenn in Ausnahmefällen die Rückgabe ihres landwirtschaftlichen Besitzes nicht möglich ist, so erhalten sie vollwertigen Ersatz. Das Justizministerium und der Generalstaatsanwalt haben alle Verhaftungen, Strafverfahren und Urteile zur Beseitigung etwa vorliegender Härten sofort zu überprüfen.

Der Ministerrat nahm zustimmend von den Vereinbarungen Kenntnis, die der Ministerpräsident mit den Vertretern der Kirche getroffen hat.

[Quelle: Neues Deutschland, 12. Juni 1953.]